28.04.21

Zurück vom Nordpol

die Leica M P 0.72 „Martin Hartley“


Expeditionsfotograf Martin Hartley dokumentierte 2010 mit seiner Leica MP 0.72 das Catlin Artic Survey Project. Nun kommen die Kamera und ein 24-mm-Elmarit, zwei limitierte Prints und ein Fläschchen Wasser aus einem Bohrkern am Nordpol unter den Hammer.


Nach rund 60 Tagen erreichen die Teilnehmer des Catlin Arctic Survey Project
um Expeditionsleiter Pen Hadow am 12. Mai 2010 den Nordpol.

Es herrschten unwirtliche Bedingungen, als das dreiköpfige Expeditionsteam am 12. Mai 2010 den geografischen Nordpol erreichte. Rund 60 zermürbende Tage auf dem stetig schwindenden Eis der nördlichen Polregion lagen hinter ihnen. Der erfahrene Polarforscher und Expeditionsleiter Pen Hadow, seine Kollegin Ann Daniels und Expeditionsfotograf Martin Hartley hatten sich dieser Aufgabe gestellt, um die Auswirkungen menschlichen Handelns auf das so fragile Ökosystem der Nordpolarregion zu erforschen. „Wenn du das Flugzeug verlassen und dich auf den Weg zum Nordpol gemacht hast“, sagt Hartley im Interview mit der britischen Autorin Sophy Roberts, „gibt es kein Zurück mehr, eine Chance auf eine Rettungsaktion gibt es praktisch nicht.“

Mensch und Technik müssen extreme Belastungen meistern, da gelte es, perfekt vorbereitet zu sein und das Werkzeug – in seinem Fall die jetzt zur Auktion angebotene Leica MP 0.72 – mit Bedacht zu wählen. Selbst wenn der Klimawandel eine vergleichbare Expedition heute aufgrund der dünner werdenden Eismassen kaum noch ermögliche, und das Team schon vor gut zehn Jahren einige Passagen schwimmend zurücklegen musste, erreichten die Temperaturen auf ihrem Weg nicht selten Werte von – 45 Grad Celsius. Im März 2010 sei noch hinzugekommen, dass die Expeditionsteilnehmer gegen eine ständige Süddrift der Eismassen ankämpfen mussten, die sie besonders nachts, wenn sie ihr Lager aufgeschlagen hatten, zurückgeworfen habe. Nur ein Jahr zuvor war ein Team bei dem Versuch, den Pol zu erreichen, um Wasserproben zu entnehmen, gescheitert. Hadow, Daniels und Hartley sollte es letztlich gelingen.


Die Passage über das Eis des arktischen Ozeans verlangt den Expeditionsteilnehmern einiges ab. Es herrschten Temperaturen bis minus 45 Grad Celsius, der eisige Wind drückt die gefühlte Temperatur auf etwa minus 75 Grad Celsius.


„In dieser Umgebung“, erklärt Hartley, „funktioniert keine moderne Kamera mehr zuverlässig.“ Zu den großen Schwierigkeiten, mit denen die Technik hier zu kämpfen habe, gehörte in erster Linie die Stromversorgung, – denn bei diesen Temperaturen lieferten Akkus einfach keine ausreichende Leistung mehr. Außerdem öffneten und schlössen die Blendenlamellen nicht richtig und der Autofokus verweigere Akkuratesse. So fiel die Wahl Hartleys, der seinerzeit bereits zum 20. Mal in der arktischen oder antarktischen Region unterwegs war, fast zwangsläufig auf eine speziell für diese Herausforderung getestete Leica MP 0.72, die ohne jegliche Stromzufuhr auskommt.

Als „Individualisten, die in Würde altern“, bezeichnet Leica selbst seine MP-Modelle

„Ich habe die Kamera in einem dünnen, wasserdichten Beutel um den Hals getragen“, berichtet der erfahrene Expeditionsfotograf. Damit wollte er vermeiden, dass die Feuchtigkeit seines Atems die Funktionalität der Leica MP beeinträchtigt. „So war die Kamera den ganzen Tag über sofort erreichbar, egal wie kalt es wurde“, fährt Hartley fort, der die MP nun in wertschätzende Hände geben möchte. Heute sei kaum noch ein Kunde bereit, für die Kosten des Filmmaterials während der Produktion und den Aufwand, die Bilder anschließend zu digitalisieren, aufzukommen. Die Leica MP 0.72 hat Hartley auf zahlreichen Expeditionen begleitet, heute mache sie zwar eine sehr gute Figur in seinem Bücherregal, doch der Fotograf möchte sie lieber im Einsatz sehen.


Als „Individualisten, die in Würde altern“, bezeichnet Leica selbst seine MP-Modelle, mit denen geübte Fotografen auch heute noch ohne jede elektronische Unterstützung fotografieren können. Nichts sollte die Kreativität des Fotografen beeinflussen oder verwässern: So verzichtet Leica bei der MP 0.72, die seit 2003 bis heute als analoges Modell angeboten wird, auf jegliche elektronische Hilfestellungen und ordnet der soliden Bauweise und bedingungslosen Funktion alles unter. Keine Halbautomatiken, kein elektronisch gesteuerter Verschluss, dafür der (seit der ersten MP von 1956) legendäre Leicavit-Schnellaufzug, ein runder, solider Rückspulknopf und ein Filmtransporthebel aus einem Stück. Zu den bis heute herausragenden Besonderheiten dieser für den rauen Reportage-Alltag geschaffenen Leica MP zählen etwa ein Suchersystem, dessen optische Elemente vergütet sind und das ein klares Bild und helle Brennweitenrahmen bietet, außerdem ein optimierter Verschluss und Filmtransport.


In die Bodenplatte der Leica MP 0.72 sind Martin Hartleys Name
und die Expeditionsdaten graviert.


Die MP 0.72 stehe für „ Feinmechanik in Reinkultur und maximale Stabilität“, urteilte Leica Fotografie International 2003 anlässlich der MP-Vorstellung.


12/5/10 90°North – zum Auktionslos gehört auch ein Fläschchen mit Wasser aus einem Bohrkern vom Nordpol.


Die Kamera trägt die Gravur „Martin Hartley, 777KM Arctic Ocean Survey 2010, 90°00’ 0.00“N 12/05“ in der Bodenplatte. Sie gelangt am 12. Juni 2021 bei der 38. Leitz Photographica Auction zur Versteigerung. Zum Auktionslos gehören noch das Leica Elmarit-M 1:2.8/24 ASPH. sowie zwei Motive der Expedition, die Hartley zufolge auf jeweils fünf Abzüge limitiert sind, und ein Fläschchen mit Nordpolwasser, das die Forscher aus einem Bohrkern am geografischen Nordpol entnommen haben.


Fotos: Martin Hartley
Text: Tobias F. Habura-Stern / LFI Leica Fotografie International